Hannover – Stockholm: „Zusammen im Gleichschritt“

 

Ultras Nord mit West Hannover Schlauchschal

Im vorliegenden Artikel soll ein kurzer Einblick in die Freundschaft zwischen den Fanszenen von Hannover 96 und AIK Solna aus Stockholm gewährt werden. Dabei liegt der Fokus im Besonderen auf Entwicklungen, die aus unserer Sicht problematisch sind, da sie über den vermeintlich unpolitischen Rahmen einer Fanfreundschaft hinausgehen und gerade dezidiert rechte politische Inhalte ein tragendes Element der aktuellen Beziehungen zwischen Hannover und Stockholm darstellen.

Wie bereits im Artikel „Alles für Bielefeld-Hannover?“ dargelegt, sind Freundschaften unter Fußballfans sehr verbreitet und identitätsstiftend für das jeweilige Selbstverständnis. Neben regionalen und nationalen Verbindungen (in Hannover z.B. zu Bielefeld und Hamburg), suchen sich viele Fanszenen auch Verbündete im (europäischen) Ausland.

Gruppenfoto Hannover- Stockholm

RBH – PT – UN

Erste Kontakte zu Ultras Nord bestanden in etwa ab dem Jahr 2007/2008, vermittelt damals über die enge Freundschaft zwischen den Gruppe Rising Boys Hannover (RBH) und Poptown (PT) aus Hamburg. Die beiden, sich als antirassistisch begreifenden Ultragruppen, pflegten zum damaligen Zeitraum gemeinsam eine enge Verbindung nach Stockholm und zu einer Generation an Menschen bei Ultras Nord, die sich nach und nach zurückzogen. Einige Personen und Kreise schlugen auf beiden Seiten langsam andere Wege ein und so kam es, dass die Kontakte zwischen PT und UN dünner und zwischen RBH und UN nur noch vereinzelt von (Ex-)Mitgliedern gepflegt wurden.

Es muss an dieser Stelle auch erwähnt werden, dass die Szene in Stockholm schon immer sowohl Rechtsradikalen eine Heimat geboten hat, als auch parallel dazu linksorientierte Gruppen in der Kurve koexistierten. Die Fanszene in Stockholm lässt sich somit schon lange als sehr heterogen beschreiben. Als Beispiel sei hierfür die Gruppe ‚Sol Invictus‘ genannt, die unter anderem freundschaftliche Kontakte auch zur (mittlerweile aufgelösten) Ultragruppe Poptown pflegen und mit der dezidiert linken Ultragruppe ‚Biris Norte‘ vom FC Sevilla befreundet sind.

Spätestens seit einer Busfahrt von knapp 50 Personen aus Hannover zum stockholmer Derby gegen Hammarby IF im Jahr 2015, dominiert von einem massiven Anteil rechter Hooligans aus Hannover und Bielefeld, wurde das Verhältnis beider Fanszenen auf ein neues Fundament gestellt. Die Szene in Stockholm und insbesondere die Gruppe Ultras Nord hatte in der Zwischenzeit eine deutliche Entwicklung nach rechtsaußen hinter sich gebracht, die andere Personen in Führungspositionen gebracht hatte. Gleichzeitig hatte in Hannover ein ehemaliges RBH-Mitglied, das nun nach einem Zwischenspiel als Kopf der Hooligangruppe VH-13 (die sich aufgrund der Gefahr nach einem BGH-Urteil als kriminelle Vereinigung eingestuft zu werden 2015 wieder auflöste) eine wichtige Funktion im Umfeld von West Hannover und der hannoverschen Hooliganszene (‚Hooligans Hannover‘) übernahm, die Koordination der freundschaftlichen Beziehung übernommen.

Dieser Koordinator ist kein gänzlich Unbekannter: Da er bereits in den Jahren 2014/15 an Angriffen auf Antifaschist*innen beteiligt war und mit der Gruppe ‚VH-13‘ auch Neonazis wie Maximilian Meyer Zuflucht bot, wurde in seinem damaligen Wohnviertel Nordstadt eine Demonstration abgehalten, um auf diese Strukturen und die potentiell von ihnen ausgehende Gefahr aufmerksam zu machen. Auch wenn es zum damaligen Zeitpunkt kontroverse Diskussionen um Sinn und Zweck dieser Demonstration gab, hat René Kaesler (Spitzname „Der schöne René“) seitdem einiges unternommen, um seinen Ruf als gewalttätiger Anführer ohne Berührungsängste mit Neonazis zu festigen. Er ist in vielen Angelegenheiten Dreh- und Angelpunkt der hannoverschen Hooliganszene sowie weit darüber hinaus und gilt als treibende Kraft hinter dem Ausschluss der antirassistischen Ultragruppe RBH und der anschließenden Spaltung der Fanszene. Unter seiner Führung festigte sich auch West Hannover als bestimmende Ultragruppe in der Kurve, wofür es seinerseits auch keiner offiziellen Mitgliedschaft bedarf.

In einer gänzlichen Abneigung gegen alles was ihm als „zu links“ erschien, hat er den Rechtsruck innerhalb der Fanszene maßgeblich vorangetrieben und fungiert nun als Anführer der ‚Hooligans Hannover‘, die auch einige personelle Überschneidungen mit West Hannover aufweisen.

rechts im Bild Kaesler mit Hannes Morten Meyer, Mitglied von West Hannover und bei den Hooligans Hannover

Kaesler (mit Pullover von Ultras Nord „UN 02“) und daneben Maximilian Meyer, ehemaliges Mitglied von Royal Riot, VH-13 und jetzt bei West Hannover und den Hooligans Hannover aktiv

 

Kaesler (zweiter vorne links) in führender Position beim Fanmarsch zum ersten Heimspiel der letzten Saison gegen Borussia Dortmund

Kaesler als Anführer des Fanmarsches zum Derby gegen Eintracht Braunschweig 2017

Zusammen im Gleichschritt – Gegen den Rest

Ab diesem Punkt, der mit einem gleichzeitigen Machtzuwachs des Personenkreises rund um West Hannover innerhalb der Fanszene zusammenfiel, weiteten sich die Kontakte aus. Regelmäßige Besuche von immer breiteren Teilen der hannoverschen Fanszene in Stockholm gingen einher mit dem Empfang von Schwed*innen in Hannover. Bei einem dieser Besuche brachte Gustav (Spitzname: Plösen), ein Führungskader von Ultras Nord, seine Freundin mit, die sich bei allen als „Eva Braun“ vorstellte.

Links Gustav „Plösen“ mit Hooligan der Firman Boys und einem Buch über den Nazi-Märtyrer Horst Wessel

Gleichzeitig berichtete Gustav, dass er an den Hetzjagden auf Migrierte vor dem Stockholmer Bahnhof beteiligt gewesen wäre und nun „viele Vergewaltigungen verhindert“ hätte. Er ist ein guter Freund von René Kaesler, was gemeinsame Urlaube mit ihren Freundinnen belegen.

links Kaesler und rechts Plösen mit seiner Freundin“Eva Braun“

Auch aus Stockholm konnten bald bis dahin unbekannte Gesichter in Hannover ihren Einstand feiern: Durch eine verbindende Grundhaltung angezogene Hooligans der Firman Boys sind seit etwa 2 Jahren ab und zu in Hannover anzutreffen. Diese zeichnen sich neben ihrer rechtsnationalen Haltung auch durch eine besondere Verehrung des Nationalsozialismus aus, was sie in sozialen Netzwerken gerne zur Schau stellen. Hier werden die Verbindungen zwischen Ultras Nord, den Firman Boys und West Hannover sowie dem Rest der hiesigen Fanszene fließend. Einend wirkt ein „unverkrampfter“ Umgang mit deutscher und europäischer Geschichte, ein stark gewaltorientiertes Verständnis vom Fußballerlebnis und ein mystisch angehauchtes, nordisch-germanisches Selbstbild. Dies belegen zum Beispiel ein Geschenk der Hannoveraner nach Stockholm, T-Shirts mit den Logos beider Vereine und der martialisch-militärischen Aufschrift „Zusammen im Gleichschritt“ oder Tattoos von René Kaesler.

T-Shirt als Geschenk von der hannoverschen Szene zum Geburtstag von Ultras Nord

Kaeslers linkes Bein „Hannover“ in Runenschrift, Rechtes Bein „Stockholm“ in Runenschrift und „Vegvisir“(Wikingerkompass) auf dem Knie

Eine dagegen unverfänglich wirkende Choreo in der Nordkurve aus dem Herbst letzten Jahres unterstreicht den umfassenden Anspruch, den die Freundschaft (mindestens zu Ultras Nord) mittlerweile für die hannoverschen Fanszene (durch das Vereinslogo „als Ganzes“ dargestellt) symbolisiert.

Diverse Fotos und Beiträge in sozialen Netzwerken kommen direkter daher und zeigen deutlich, auf welcher Ebene die hannoversche Fanszene mit ihren Freunden aus Stockholm harmoniert. Besonders tut sich hierbei der User „polarnaspolare“ hervor, der Mitglied der Firman Boys ist und auch ein enges Verhältnis zu Mitgliedern von Ultras Nord und hannoverschen Hooligans und Ultras pflegt.

Rechts im Bild: „polarnaspolare“ , Mitglied der „Firman Boys“

Plösen und Firman Boy Mitglied mit Hitlergruß

Geburtstagsgruß an Hitler: „Sieg Heil alla“

von hinten links nach vorne rechts:
Hannes Morten Meyer, Finn Jäger (beide West Hannover), Kaesler, ein Ultra aus Stockholm und dem Firman Boys Mitglied „polarnaspolaren“

Neben René Kaesler und Mitgliedern von West Hannover ist hierbei auch Marcel Schmiedeskamp zu nennen, ehemaliges Mitglied der rechten Hooligangruppe „Royal Riot“ und aktuell bei den „Hooligans Hannover“, der die Verehrung des Nationalsozialismus in den sozialen Netzwerken teilt. Er interagiert dort auch gerne (aktueller Username bei Instagram: „marcellecram87_223“) unter anderem mit „polarnaspolaren“, lobt dessen Bewunderung des Nationalsozialismus und begrüßt ihn schonmal vorsorglich in „the Reich“.

„See you in the Reich“

Schmiedeskamp (Spitzname „Python“) ist schon lange als Neonazi innerhalb der Fanszene bekannt und trägt mittlerweile seine Gesinnung immer offensiver nach außen. Er hat eine sogenannte „Hagalrune“ auf dem Hals tätowiert, die eine Verbindung von Lebens- und Todesrune darstellt, während des Nationalsozialismus von der SS als Erkennungszeichen der 6. Gebirgsdivision verwendet wurde und auch ein beliebtes Erkennungszeichen von Rechtsextremen ist. Außerdem kleidet er sich gerne mit Modelabels der rechten Szene und tritt in Fankleidung mit der Aufschrift „Unsere Ehre heißt Treue“ in Erscheinung, einer Abwandlung des Wahlspruchs der SS („Meine Ehre heißt Treue“).

Marcel Schmiedeskamp auf einer Zugfahrt mit Hagalrune und Kutte mit SS-Reminiszenz die er deutlich in seiner eigenen „Story“ platzierte.

Im Gegensatz zum Großteil der hannoverschen Fanszene scheut er sich nicht seine faschistoide Weltsicht öffentlich zur Schau zu stellen und bezeichnet auch den Rest der Szene als seine „germanischen Kameraden“.

#meinekameraden

#meinekameraden

Die Verbindung zwischen Kaesler, als bestimmende Figur und Schmiedeskamp, als festen Teil der hannoverschen Fanszene mit ihren Freunden aus Stockholm belegt ein weiteres Mal, wie dicht das rechte bis rechtsextreme Netz von Ultras und Hooligans in Hannover mittlerweile gesponnen ist. Es ist an der Zeit, hier zu intervenieren und deutlich zu machen, wohin sich die Fanszene von Hannover 96 in den letzten Jahren entwickelt hat.